Gegenstempel auf hellenistischen Bronzemünzen von Alexandria Troas

Max Römhild (Universität Münster)

Dank einer großzügigen Reisekostenunterstützung durch die Carl-Humann-Stiftung konnten im Wintersemester 2024/2025 Recherchen in den Münzsammlungen der Universität Wien und des Kunsthistorischen Museums Wien durchgeführt werden, deren Ergebnisse zentraler Bestandteil für die Erstellung meiner Masterarbeit sind. Im Zentrum standen in großer Zahl gegengestempelte Bronzemünzen aus dem hellenistischen Alexandria Troas, die nach einer umfassenden Sichtung von Beständen öffentlicher Sammlungen, Katalogen und Auktionsarchiven einer neuen Typologisierung und Kontextualisierung unterzogen wurden.

Alexandria Troas gilt als wichtiges Zentrum der im Nordwesten Kleinasiens gelegenen Landschaft Troas. Über die frühe Entwicklung der Stadt informiert vor allem Strabon (13,1,26; 13,1,33; 13,1,47; 13,1,52). Demnach wurde die Stadt nach 311 v. Chr. von Antigonos Monophthalmos unter dem Namen Antigoneia im Zuge eines Zentralisierungsprozesses (synoikismos) unter Einbeziehung benachbarter Siedlungen (Kebren und Skepsis, später Larisa, Kolonai, Hamaxitos und Neandria) am Standort der älteren Siedlung Sigia gegründet. 301 v. Chr. benannte sie schließlich Lysimachos Antigoneia zu Ehren Alexanders des Großen in Alexandria um und billigte Skepsis den Austritt aus dem Bündnis zu. 

Diese Version der Stadtgründung gilt mittlerweile als angreifbar, da die Entwicklung des Städteverbundes wohl deutlich weniger kohärent verlief, als Strabon suggeriert: Während Neandria und Kolonai (belegt durch endende Münzserien) schon gegen Ende des 4. Jhs. v. Chr. ihre Eigenständigkeit einbüßten, wurde Kebren in den 270er/250er Jahren v. Chr. wieder aus dem Verband gelöst und als Antiocheia neu gegründet. Larisa (unter dem Namen Ptolemais) und Hamaxitos blieben bis ins 3. Jh. v. Chr. hinein nur locker angebunden; Hamaxitos prägte sogar bis ca. 190 v. Chr. eigene Münzen. Die erneute und wohl endgültige Eingliederung von Larisa, Hamaxitos und Kebren in den Verband von Alexandria Troas erfolgte somit wahrscheinlich erst durch die politischen Neuordnungen infolge des Friedens von Apameia 188 v. Chr.

Unter dem römischen Einfluss des 1. Jhs. v. Chr. erfuhr Alexandria Troas nicht zuletzt dank ihrer wichtigen Hafensituation am Schnittpunkt zentraler Handels- und Verkehrsachsen eine erhebliche Blüte. Diese mündete um 12. v. Chr. unter Kaiser Augustus in der Gründung der colonia Augusta Troadensis nach dem ius Italicum. Dieser rechtlichen Erhöhung der Stadt folgten auch großzügige Bauprojekte, welche vor allem durch die zwischen 1993 und 2010 von der Universität Münster (Forschungsstelle Asia Minor) durchgeführten archäologischen Grabungen – ergänzt um seit 1994/95 eingesetzte geophysikalische Prospektionen – erstmals in ihrer Entwicklung fassbar wurden. 

Sowohl der hellenistischen als auch der römischen Münzprägung von Alexandria Troas nahm sich erstmals A. R. Bellinger im Jahr 1961 mit einer umfassenden Typologie an, die bis heute als zentrales Bestimmungswerk gilt. In diesem Rahmen erkannte er bereits eine auffällige Anzahl hellenistischer Belegstücke mit Gegenstempeln in den Bronzeserien, die er zwar vermerkte, jedoch noch nicht systematisch erfasste bzw. typologisch auswertete. 

Unter „Gegenstempeln“ werden dabei nachträglich – also sekundär zum eigentlichen Prägeakt – aufgebrachte Zeichen verstanden, deren Prägungen in ihrer Größe stark variieren können und das ursprüngliche Münzbild unterschiedlich stark überdecken. Die unter diesem Begriff erfassten Erscheinungsformen reichen von einfachen Monogrammen über einzelne Buchstaben oder Buchstabengruppen bis hin zu komplexeren Bildern, Symbolen oder Kombinationen dieser Elemente. 

Eine Neubetrachtung der frühen Münzserien des 4./3. Jhs. v. Chr. in einem Aufsatz von A. R. Meadows aus dem Jahr 2004 revidierte zwar zentrale typologische und chronologische Aspekte der frühen Münzprägung von Alexandria Troas, ließ die Gegenstempel jedoch unberücksichtigt. Eine fundamentale Neubewertung liefert erst die im Jahr 2025 erschienene Monographie von A. Ellis-Evans, die für die vorliegende Arbeit bereits als Druckfahne konsultiert werden konnte. Ellis-Evans widmet den Gegenstempeln erstmals ein eigenes, fundiertes Kapitel (§5.2 Countermarks), in dem diese systematisch und entlang der neu erarbeiteten Chronologie abgehandelt werden. Trotz dieser deutlichen Fortschritte bleibt die quantitative Basis der Untersuchung teilweise vage. Da Ellis-Evans auf absolute Zahlen zu den gesichteten Stücken verzichtet, ist der tatsächliche Umfang des Materialkorpus nicht transparent.

Zwar werden die Typen der Gegenstempel nachvollziehbar definiert, jedoch erfolgt die Kategorisierung der Häufigkeit durch begriffliche Vereinheitlichungen wie „rare“, „fairly common“ oder „common“. Was diese Begrifflichkeiten im statistischen Detail bedeuten (z. B. absolute Stückzahlen pro Einzeltyp bzw. Kombination aus Gegenstempeln), wird nicht zweifelsfrei offengelegt, womit eine statistische Überprüfung der Seltenheit erschwert wird.

Hier setzt meine Masterarbeit an, in deren Katalog ich insgesamt 106 gegengestempelte Bronzemünzen hellenistischer Zeitstellung (vom 4./3.–1. Jh. v. Chr.) erfassen konnte:

StückanzahlOrt
18Staatliche Museen Berlin
17Münzhandel
14The Özkan Arıkantürk Collection (SNG Turkey 9)
12Bibliothèque nationale de France
12British Museum 
11American Numismatic Society
7Ashmolean Museum Oxford 
4Kunsthistorisches Museum Wien
4SNG Copenhagen
3SNG München
2Fitzwilliam Museum Cambridge
1National Numismatic Collection Kopenhagen
1National Numismatic Collection Amsterdam

  Datiert gemäß der Münztypologie nach Ellis-Evans ergab sich somit folgendes Bild:

Serie 1 = ca. 300 v.  Chr. (37 Ex.)
In dieser Serie dominieren Bronzemünzen mit vorderseitig gegengestempelter Kithara (27 Ex.). Daneben treten, in deutlich geringerer Zahl, runde oder ovale Gegenstempel mit frontalem Kopf des Apollon, Lyra im Perlkreis, Kerykeion, Kopf des jugendlichen Herakles mit Löwenfell (?), Diskeles (?) sowie ein Blitzbündel in rechteckigem Gegenstempel auf. Die Stempelungen sind in dieser Serie primär auf die Vs. konzentriert. 

Solidus Numismatik 123 (25.07.2023), Lot 89

Serie 2 = ca. 300–275 v.  Chr.
Keine gegengestempelten Stücke belegt.

Serie 3 = ca. 275–250 v.  Chr. (2 Ex.)
Für diese Serie sind lediglich zwei Stücke nachgewiesen; eines mit vorderseitiger Biene und ein weiteres mit Kopf des Apollon r. in rundem Gegenstempel.

Serie 4 = ca. 250–225 v.  Chr. (8 Ex.)
Belegt sind einfach gegenstempelte Münzen mit einzelnen Gegenstempeln auf der Vs. (Kopf des Apollon r., Maus des Apollon Smitheus l.) bzw. Rs. (Kithara in rechteckigem Gegenstempel). Drei Stücke tragen auf der Vs. einen segmentierten sechsstrahligen Stern und auf der Rs. eine Lyra.

Serie 5 = 188–180 v. Chr. (3 Ex.)
Neben der bereits in Serie 4 beobachteten Kombination aus segmentiertem sechsstrahligem Stern auf der Vs. und Lyra auf der Rs. (1 Ex.) begegnet ein sechsstrahliger Stern auf der Rs. (1 Ex.) sowie ein Stück mit frontalem Kopf des Apollon, Maus des Apollon Smintheus l. und einem unerkennbaren Gegenstempel (1 Ex.).

Serie 6 = 170er–150er Jahre v. Chr.  (48 Ex.)
Diese Periode stellt die quantitative Spitze der Stempeltätigkeit dar und weist die komplexesten Mehrfachkombinationen auf. Es dominieren Typen mit zwei bis vier Gegenstempeln auf der Vs., kombiniert mit ein bis drei Gegenstempeln auf der Rs. Ein häufig zu beobachtender Typ (14 Ex.) ist die Kombination von Lyra, Maus des Apollon Smintheus l. oder r., Kopf des Apollon r. und, in wenigen Fällen, auch Oinochoe (2 Ex.; alle Vs.), gepaart mit einem Pferdekopf (Rs.). Bei diesen Stücken ermöglichte die Vielzahl der Gegenstempel auf der Vs. eine relativchronologische Studie auf Basis der jeweiligen Überlappungen; diese blieb jedoch inkonsistent, was auf eine zeitnahe Aufbringung aller Motive hindeutet.

Savoca 26th Blue Auction (23.11.2019), Lot 320

Serie 7 = 150er–100 Jahre  v.  Chr. (7 Ex.)

Alle Stücke dieser Serie kombinieren den segmentierten sechsstrahligen Stern auf der Vs. mit der Lyra auf der Rs. Bei fünf Stücken ist zusätzlich ein Gegenstempel mit der Maus des Apollon Smintheus r. auf der Vs. hinzugefügt.

Series 8 = ca. 100–50 (?) v.  Chr.
Keine gegengestempelten Stücke belegt. 

Serie 9 = 100–75  v.  Chr. (1 Ex.)
Aus der abschließenden Serie 9 ist lediglich ein mit Gegenstempel versehenes Stück bekannt. Dieses trägt auf der Rs. drei Gegenstempel: Kopf des Apollon r., Maus des Apollon Smintheus l. sowie Lyra.

Die meisten Gegenstempelmotive verweisen klar auf eine Herkunft innerhalb des städtischen Motivkanons, der sich größtenteils aus Symbolen der am synoikismos beteiligten Städte zusammensetzt. Das Gros der Aktivitäten ist daher innerhalb von Alexandria Troas zu verorten. Als veranlassende Institution kommt am ehesten eine städtische Stelle in Betracht. Zu beobachten sind Wellen der Gegenstempelung, die – anders als es die Phasengliederung der Serien vermuten lassen könnte – nicht notwendig mit den Prägephasen zusammenfallen; die Serien liefern vielmehr einen terminus post quem für die Anbringung der Stempel. Gegenstempel auf Untertypen der Serie 1 reagierten wahrscheinlich auf die Ausmünzung der Bronzemünzen der Serie 2, die relativ kleine Nominalien umfassten, wodurch die früheren mittels der Gegenstempel verifiziert bzw. für den Umlauf bestätigt wurden. Für die übrigen Serien stellt sich die Lage komplexer dar; entsprechende Hypothesen (Wert- und Denominationsanpassung, Münzverruf abgesehen gegengestempelter Prägungen, Gleichsetzung von alten mit neuen Prägungen) lassen sich derzeit nur schwer falsifizieren oder verifizieren. Aktuell wird ermittelt, inwieweit die Gegenstempel dazu beitragen können, die Münztypologie zu verfeinern.

Literatur:

A. R. Bellinger, Troy. The coins, Suppl. Monograph 2 (Princeton 1961).

A. Ellis-Evans, Alexandreia Troas in the Hellenistic Period. War, Finance, and Civic Identity, Numismatic Studies 48 (New York 2025).

A. R. Meadows, The Earliest Coinage of Alexandria Troas, Numismatic Chronicle 164, 2004, 47–70.